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Das informelle Lager: Hotel Islamabad

puppe_eingang_swSchon als wir auf die Straße Richtung Lager abbiegen, verändert sich das Bild. Entlang der Straße laufen Menschen in zerschlissenen Kleidern. Sie sind in Gruppen unterwegs, oder alleine. Einige sitzen am Straßengraben. Nach einer Weile erscheint ein großer, nicht einsehbarer Komplex: Baracken stehen in Reih und Glied, umgeben von einem hohen Zaun. Vor dem Tor stehen Menschengrüppchen. Als sie das Auto unserer Begleiter erkennen, laufen sie in Richtung eines nahen Schotterplatzes.

Dort parken wir, um die mitgebrachten Lebensmittel zu verteilen. Die Menschen, die uns schnell umringen, sind überwiegend Pakistani und Afghanen. Sie leben nicht im Lagerkomplex. Sie wohnen auf der gegenüberliegenden Straßenseite – unter einer Autobrücke. Um in dieses informelle Lager zu gelangen, erklimmen die Bewohner eine kleine Mauer und klettern durch einen kaputten Maschendrahtzaun. An ihm hängen Kleidungsstücke, Handtücher, auch eine blonde Puppe haben die Bewohner als Dekoration befestigt. Ihre Behausungen dahinter sind aus Planen und Holzresten errichtet. Zelte und kleine Sitzgruppen aus Plastikstühlen stehen dazwischen.

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Wir werden ein Verein

Seehilfe-Sheet

Es geht voran: Aus dem Projekt Seehilfe wird in den kommenden Tagen ein Verein. Die entsprechende Satzung ist ausgearbeitet, die nötigen Unterschriften sind gesetzt.

Wir machen den nächsten Schritt und haben am vergangenen Wochenende in Bremen ein erstes Konzept für das kommende Jahr erarbeitet. Und eines ist jetzt schon klar: Unsere Aktivitäten werden sich aufgrund der auf Sizilien gemachten Erfahrungen verlagern. Trotz des beeindruckenden Erfolges werden wir das Sammeln von Kleidung nicht wiederholen.

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Die Flucht: Gambia – Libyen – Sizilien

Eine lässige Sonnenbrille trägt Foday auf dem Kopf. Er hat sie sich selbst gekauft. Das Geld hat ihm ein italienischer Journalist gegeben, der seit einiger Zeit mit den Jungen im Erstaufnahme-Camp für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge lebt und ihre Situation dokumentiert. Für andere Journalisten ist es ohne Schreiben der zuständigen Beamtin nicht gestattet, mit den Jugendlichen auf der schmalen Terrasse vor dem Haus an der Kirche zu sprechen. Auf der anderen Straßenseite sei das aber kein Problem, erklärt eine der Betreuerinnen.

Auf der kleinen Piazza vor der Kirche sitzen die Jugendlichen, einige auf Bänken, andere auf Plastikstühlen. Sie haben ein abgewetztes Kartenspiel und einen Minikicker, mit dem sie allabendlich die Zeit totschlagen.

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Projekt Seehilfe im Akrützel

Nachdem es hier einige Zeit etwas ruhiger zuging, starten wir in eine neue Runde! Heute erscheint das aktuelle Akrützel – die Jenaer Hochschulzeitung – für das wir einen Artikel über unsere Erfahrungen geschrieben haben. Außerdem haben wir zwei weitere Geschichten in Worte gefasst, die wir in den kommenden Tagen mit euch teilen wollen.

In den nächsten Stunden sollte das Akrützel-Heft auch online gehen, sodass alle, die nicht in Jena sind, auf den Artikel zugreifen können.

Ende November haben wir ein Treffen der Kerngruppe geplant, das wir dazu nutzen wollen, um zu beraten, wie es weitergehen soll. Eines ist aber vollkommen klar: Es wird weiter gehen!

Unsere Kontakte auf Sizilien bestehen und wir sind guter Hoffnung, dass ein Projekt, das gerade anläuft, eine Basis bieten könnte, für uns auch in Zukunft Anknüpfungspunkt zu sein.

Johanne

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Fotos im Witness Journal

Für eine Woche übernimmt Projekt Seehilfe den Instagram-Account des Witness Journal und posten dort einige Bilder. Das bietet uns die Möglichkeit, auch andere Menschen zu erreichen. Wenn ihr mal reinschauen wollt, seid ihr herzlich eingeladen.

Fotografisch sind uns unsere Vorgänger wohl ein bisschen vorraus, schaut euch ihre Fotos also unbedingt an

Unser Account.

Philipp

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Die Flucht: Ägypten – Rom – Sizilien

Die Gemeinschaftsküche ist aufgeräumt, eine Tüte mit Weißbrot steht auf jedem Tisch. Nassr* nimmt eine Flasche Saft aus dem Kühlschrank und schenkt uns Saft ein. Es ist schwer zu sagen wie alt er ist, Mitte 30 vielleicht. Aber schätzen kann man das kaum, bisher waren alle Flüchtlinge um einiges jünger, als wir dachten. Nassr spricht leise, aber sein Englisch ist sehr klar. Er erzählt von seinem Leben, dass er im Juni 2013 hinter sich ließ: In Ägypten hat er Ingenieurswesen studiert und bei einem weltweit führenderen Elektronikhersteller in der Entwicklungsabteilung gearbeitet. Er habe sehr gut verdient, sagt er. Doch irgendwann hätten die Probleme angefangen.

Er als Christ habe Drohungen von seinen Kollegen erhalten. Anfangs seien noch ca. 10 Prozent der Angestellten Christen gewesen, doch mit der Zeit wären von ihnen immer mehr gegangen. Schlussendlich war er der einzige. Täglich kam es zu Anfeindungen, im ganzen Land brannten Kirchen. Als in seinem Wohnviertel Kinder und ganze Familien verschwanden, habe er die Angst nicht mehr ertragen können. Mit seiner Frau und den zwei kleinen Kindern sei er unvorbereitet zum Flughafen gefahren und habe einen der ersten Flüge gebucht, die ihn nach Europa brachten. So begann ihre Flucht nach Italien.

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Schwanger auf der Flucht

„I was at the doctor’s, but I couldn’t get in… I don’t have the documents yet, so he told me to pay and we couldn’t. We have to go back next week.“ Während die 26-jährige Mary* aus Nigeria dies erzählt, atmet sie schwer. Sie ist hochschwanger und erwartet ihr erstes Kind in drei Wochen. Hinter uns auf einem Tisch stehen Diabetesmedikamente, weil sie Schwangerschaftsdiabetes hat. Was, wenn sie schnell Hilfe bräuchte?

Zusammen mit ihrem Mann kam sie vor 2 Jahren nach Ragusa, wo sie heute mit ihm in einer eigenen Wohnung lebt. Sie haben eine begrenzte Aufenthaltsgenehmigung und müssen sich ihren Lebensunterhalt selbst verdienen. Ihre Ein-Zimmer-Wohnung kostet 150 Euro und liegt in der heruntergekommenen Altstadt Ragusas. Um die Miete und alles weitere zu bezahlen, geht Marys Mann jeden Tag am Supermarkt betteln. Theoretisch dürften beide arbeiten. Eine Beschäftigung zu finden erscheint für sie in einer Region, in der allein die Jugendarbeitslosigkeitsrate bei 50 Prozent liegt, allerdings unmöglich.

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Spendenzwischenbericht

Neben der Berichterstattung aus Sizilien haben wir natürlich nicht vergessen, dass wir einen Transporter voller Spenden und auch noch einiges Geld auf dem Konto haben. Hier folgt also unser Spendenzwischenbericht.

Am Dienstag haben wir einen Teil unserer Spenden im Lager der beiden Sozialarbeiter abgeladen, mit denen wir zusammen arbeiten. Sie betreuen Flüchtlinge in Camps und verteilen die Spenden so bedarfsgerecht. Außerdem stehen sie in Kontakt zu Familien und Einzelnen, die nicht mehr in einem Camp untergebracht sind.

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Pozzallo, die Stadt des Ankommens

Über der Stadt brennt die Sonne. Auch Anfang September steigt das Thermometer ohne Mühe über die 30-Grad-Marke. Das Meer liegt ruhig vor der Küste. Diese Stille wird uns den ganzen Tag begleiten. Für die meisten Menschen um uns herum ist sie wohl erholsam, für uns erscheint sie trügerisch.

Pozzallo, eine der südlichsten Städte Siziliens, gilt seit der Schließung der Flüchtlingslager auf Lampedusa als der Ankunftsort für Menschen, die sich ein neues, vor allem sichereres Leben in Europa versprechen. Die 19.000-Einwohner-Stadt ist umgeben von Stränden, dazwischen befindet sich der Hafen.

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Ein privates Flüchtlingscamp

Im Halbdunkel sitzen junge Männer auf weißen Plastikstühlen, den Kopf gesenkt, den Blick auf ihre Smartphones gerichtet. Alle halten eines in der Hand, chatten oder gucken Filme. Sie sehen müde aus, in sich gekehrt und allein, obwohl sie beieinandersitzen. Im großen Raum, einem Klostersaal mit hohen Wänden und Gewölbe, wirken sie verloren. Als wir in den Raum kommen, blicken sie hoch und lächeln. Sie kommen auf uns zu, freuen sich, stellen sich vor und fragen uns aus. Einige sind überschwänglich fröhlich – bemerkenswert, gemessen an ihrer Situation, ihrer Vergangenheit und ihren Zukunftsaussichten.

Der Ort, an dem sie sich befinden, ist die Villa Tedeschi, ein altes Kloster in der Nähe von Modica. Es liegt inmitten bracher Felder, die Umgebung ist trocken und das Mittelmeer in der Ferne nur zu erahnen. Für 4000 Euro im Monat mietet eine private Organisation das Gebäude vom Ortspfarrer, um etwa 50 Flüchtlinge dort unterzubringen. Es ist ein privates Flüchtlingscamp. Mittlerweile dienen die staatlichen Flüchtlingslager nur als Erstaufnahmelager, in denen die Flüchtlinge registriert und erstversorgt werden, um dann an Lager privater Betreiber_innen in ganz Italien weiterverteilt zu werden.

Diese bilden einen eigenen Wirtschaftszweig: 30€ gibt es laut Francesco, dem Sozialarbeiter mit dem wir zusammenarbeiten, pro Tag für einen Flüchtling, von diesem Geld sind alle Unkosten zu begleichen. Je weniger die Betreiber_innen also für die Flüchtlinge ausgeben, desto mehr fließt in ihre eigene Tasche. So gebe es riesige Matratzenlager, die außer einfachstem Essen und einer spartanischen Unterkunft nichts böten. Keine Sprachkurse und keine psychologische Betreuung. Zwar müssen sich alle privaten Betreiber_innen um Lizenzen für die Unterhaltung eines Camps bewerben, ob die tatsächlichen Umstände in den Lagern jedoch tatsächlich nachgeprüft werden ist fraglich. In jedem Fall gehen die Selbstbestimmungsmöglichkeiten der Flüchtlingen gegen Null: Sie werden den Lagern zugeteilt; dort wird alles für sie entschieden, höchstens ein Taschengeld bekommen sie ausgezahlt.

Von dem von uns besuchten Flüchtlingslager sind es bis in den Ort etwa 40 Gehminuten entlang der Landstraße. Sie gehe die Strecke jedoch nicht, sagt eine der Flüchtlinge, die Strecke sei zu weit für sie. Das Mädchen ist zart gebaut, isst nur Salat, wie sie uns sagt. Ihr T-Shirt hat ein Logo der Welt-Hunger-Hilfe auf der Brust. Außerdem hat sie keine festen Schuhe, nur Badeschlappen. Die Kleiderspenden, die die Organisation bekommt, waren bisher viel zu groß für die 21-Jährige aus Eritrea. Ihren Namen hat sie geändert, als sie ihre Heimat verließ. Ihr neuer Name bedeutet in ihrer Sprache „Straßenhund“. Und auch wenn sie uns gegenüber sehr fröhlich wirkt, uns über Deutschland ausfragt und Witze mit uns macht, ist sie in sich gekehrt. Sie habe zu viel Zeit um nachzudenken, sagt sie. Über ihre Familie, über sich. „Eat, sleep. And tomorrow: Eat, sleep“, so beschreibt sie ihren Tagesablauf.

Viel anderes bleibt den Flüchtlingen nicht zu tun. Sie haben Internet, jede_r ein Smartphone und WiFi, und stehen in Kontakt mit ihren Familien und Freunden. Das Mädchen aus Eritrea erzählt von guten Freunden aus ihrem Lager, die es bis nach Deutschland geschafft haben. Erst in den letzten Wochen sind etwa zwei Dutzend Flüchtlinge aus dem Lager verschwunden, wohin weiß niemand so genau. So sind sie zwar untereinander und mit ihren Familien vernetzt, in ihrem direkten Umfeld in Italien allerdings fehlt ihnen der Kontakt. Einerseits sind ihre Unterkünfte außerhalb und sie somit aus dem Stadtbild verdrängt. Andererseits sind sie sprachlich isoliert: Zwar sprechen viele von ihnen gutes Englisch, die meisten Menschen in Sizilien allerdings kaum. Betreuer_innen des von uns besuchten Lagers nicht ausgeschlossen.

Die Verantwortliche, die wie dort trafen beispielsweise ist zwar ausgebildete Psychologin, auch sie ist jedoch schon aufgrund der Sprachbarriere keine tatsächliche Ansprechpartnerin für die Flüchtlinge. Ihre wenigen Englischkenntnisse reichen bei Weitem nicht aus, um sich mit den Flüchtlingen angemessen zu unterhalten. Allein die physische Verfassung vieler derjenigen, die wir trafen, erzählt traurige Geschichten: Einem jungen Mann aus Mali fehlen Zehennägel und sein Körper ist mit Narben übersäht. Einem anderen, aus Nigeria, der uns die ganze Zeit, die wir im Lager verbringen, anstrahlt, ist eine Narbe quer über die Wange gezogen. Die junge Eritreerin ist nach einer Stunde so erschöpft, dass sie sich hinlegen muss. Ihre Freundin ist so krank, dass sie aus dem Bett überhaupt nicht aufgestanden ist und uns dort nur kurz nett begrüßt.

So scheint das Warten auf ihre Papiere die jungen Menschen zu lähmen. „It makes lazy“, sagt die 21-Jährige. Eigentlich wolle sie nur arbeiten, wiederholt sie immer wieder. Im Lager gebe es jedoch nichts zu tun. So scheinen diese jungen Menschen zur Lethargie verurteilt. Nach Monaten der stetigen Anspannung und permanentem Unterwegssein kristallisiert sich ein neues Problem heraus: Ein Übermaß an Zeit zum Nachdenken über das Vergangene, vielleicht das ständige Nacherleben der Fluchterfahrungen. Auch wenn alle Flüchtlinge im Lager zwischen 18 und 25 Jahre alt sind, sehen sie 10 Jahre älter aus. Ihre Gesichter sind erschöpft und wir fragen uns, ob sie mit diesem Warten gerechnet haben. Ob sie darauf vorbereitet wurden. Und welche Hoffnungen sie in die Zukunft haben.

 

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