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Die Flucht: Gambia – Libyen – Sizilien

Eine lässige Sonnenbrille trägt Foday auf dem Kopf. Er hat sie sich selbst gekauft. Das Geld hat ihm ein italienischer Journalist gegeben, der seit einiger Zeit mit den Jungen im Erstaufnahme-Camp für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge lebt und ihre Situation dokumentiert. Für andere Journalisten ist es ohne Schreiben der zuständigen Beamtin nicht gestattet, mit den Jugendlichen auf der schmalen Terrasse vor dem Haus an der Kirche zu sprechen. Auf der anderen Straßenseite sei das aber kein Problem, erklärt eine der Betreuerinnen.

Auf der kleinen Piazza vor der Kirche sitzen die Jugendlichen, einige auf Bänken, andere auf Plastikstühlen. Sie haben ein abgewetztes Kartenspiel und einen Minikicker, mit dem sie allabendlich die Zeit totschlagen.

Foday ist klein. Sein Muskelwachstum ist eingeschränkt, warum wissen wir nicht. Sein Rücken krümmt sich unnatürlich. Die Arme sind dünn wie die eines Grundschulkindes.

Er lacht sehr viel. Die anderen ziehen ihn auf, er sei derjenige, der am besten mit den italienischen Mädels klar käme. Foday ist erst 15. Die Flucht von Gambia nach Libyen habe er „tikki-tikki“ gemacht, wie alle Jungen hier. „Tikki-tikki“ erklärt er mit einer Handbewegung: Wie eine Schlange lässt er sie langsam in Zick-Zack-Bewegungen vorankommen. Was er meint, ist, dass sie von einem Schlepper zum nächsten gebracht wurden. Nie auf direktem Weg. Nie wussten, wo sie gerade waren und was als nächstes passieren würde. Meistens rasten Jungen, die noch jünger waren als diese hier, mit ihnen in Autos über die Schotterpisten.

Traum von gambischem Essen

Neben ihm sitzt ein gut gebauter Jugendlicher. Hassan ist 17. Er spricht viel: von seinen Träumen. Von den Dingen, die er erleben möchte. Von den Zuständen in ihrer Unterkunft. Vor allem das Essen bereite ihnen allen Probleme. Auf die Frage nach gambischem Essen beginnt er einige Gerichte zu beschreiben. Schnell steigen die um ihn stehenden Jugendlichen ein und schwelgen in Erinnerungen. Im Grunde essen sie Reis und Suppen, alle zusammen aus einer Schüssel. Mit den Fingern formen sie kleine Kugeln aus nichtvorhandenem Reis und tunken diese in eine imaginierte Schüssel. Hier bekommen sie ihr Essen auf Styropor-Assietten, eingeschweißt. Woher es kommt wissen sie nicht.

Sie haben einen großen Raum, in dem sie schlafen. Je nachdem wie viele Jugendliche in Pozzallo ankommen, variiert die Zahl. Momentan sind es um die 20, die sich den Raum teilen. Die Nachbarn haben sich langsam an sie herangetastet. An diesem Abend schlendern immer wieder welche vorüber, grüßen die Jungen und gehen dann in ihre Wohnungen. Ein älterer Herr setzt sich eine Weile und spielt mit einem der Jugendlichen etwas abseits eine Partie Schach.

Der Rassismus komme von jenen, die sie nicht kennen und die auch keine Lust haben sich mit ihnen zu beschäftigen. Jeder von ihnen hat seinen Wortschatz an Beleidigungen auf Italienisch durch diese Anfeindung erlernt.

Mit einigen Jungen aus dem Ort gehen sie manchmal am Strand Fußball spielen, das sei aber die Ausnahme. Was sie am meisten tuen ist eins: Warten.

Schweden, Großbritannien, Deutschland

Sie schwelgen in ihren Träumen. Nach Schweden, nach Großbritannien oder Deutschland wollen sie.

Hassan möchte Fußballer werden, in einer richtigen Liga spielen, nicht hier am Strand. Er träumt von einem Leben wie viele in seinem Alter. Eine Freundin wünscht er sich. Ein selbstbestimmtes Leben. Er ist hoffnungsvoll, sehr gelöst. Doch zwischendurch erzählt er von seiner Zeit in Libyen. Von der Gewalt und davon, dass es besser sei mit einer Pistole ausgeraubt zu werden als von einem mit einem Messer. Zu schießen würden die meisten im Zweifel doch nicht wagen, beim Zustechen sei man da weniger zimperlich. Viele von ihnen tragen Narben am Körper, wo diese herkommen, lässt sich nach ihren Geschichten nicht schwer erahnen. Er schummelt beim Kartenspiel, versteckt die Karten im Hemdkragen, zappelt auf seinem Stuhl.

Foday sitzt neben ihm. Die dünnen Finger hat er verschränkt. Auf die Frage, was er einmal werden möchte, wenn er sich jeden Beruf der Welt aussuchen dürfte, egal was man dazu können muss, antwortet er: „Ich möchte im Supermarkt arbeiten. Dort kann man verschiedene Menschen treffen.“

Anna

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