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Tenerezza bedeutet Zärtlichkeit

Heute ist der kleine Kirchplatz vor der ehemaligen Erstaufnahme für Jugendliche im Herzen Pozzallos leer. Im vergangenem Jahr, als wir dort mit den Jugendlichen aus Gambia Karten spielten, sah das noch anders aus: „Sie waren immer so freundlich. Immer haben sie gegrüßt. Es gab nie Probleme. Überhaupt keine! Sie haben gespielt und Musik gemacht. Manchmal haben wir zusammen getanzt“, erzählt Ornella, eine ehemalige Sozialarbeiterin des Camps, die wir zufällig in der Nähe treffen.

Eigentlich wollte die Sozialarbeiterin weiterhin mit minderjährigen Flüchtlingen in Pozzallo arbeiten. Aber die Gelder hierfür wurden zu großen Teilen von der Stadt gestrichen. Auch die Zuschüsse für die Initiative, für die Ornella tätig war. Von ehemals knapp 140 Arbeitsplätzen in der Initiative sind heute im gesamten Stadtgebiet noch 38 übrig.

Heute ist der kleine Kirchplatz vor der ehemaligen Erstaufnahme für Jugendliche im Herzen Pozzallos leer.

Das Gebäude, das die Unterkunft für minderjährige Flüchtlinge im Zentrum Pozzallos beherbergt hat, steht nun der gegenüberliegenden Kirche als soziales Zentrum zur Verfügung. Es ist ein Wohnhaus wie tausend andere am Platz: vor der Haustür eine kleine Terasse, im ersten Stock befanden sich die Schlafräume. Zwei für 25 Jugendliche.

Ornella, Anfang 60, offenherzig und patent, lächelt ein wenig sehnsüchtig und sagt, dass die Karten in diesem Sommer vielleicht neu gemischt werden würden. Mit ein bisschen Glück werde die Stadt neue Initiativen unterstützen. Alles hängt von der anstehenden Neuverteilung der bereitstehenden Gelder ab. Ornella könnte dann wieder mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, die über das Meer gekommen sind.

Tenerezza – oder eine Bereicherung

Eine andere Frau, die zwischen der ehemaligen Unterkunft für Minderjährige und der Kirche wohnt, erzählt uns: „Wir sind traurig, dass sie nicht mehr da sind. Wir hatten eine gute Zeit und ich habe für sie eine tenerezza (Zärtlichkeit) verspürt; sie sind doch noch so jung.“

Für die Anwohner*innen dieses Viertels ist klar: Die minderjährigen Refugees, die sie im vergangenen Jahr kennengelernt haben, waren eine Bereicherung. Die Menschen hier wissen, dass die Kinder und Jugendlichen ein neues Zuhause brauchten und wollten. Sie sehnten sich nach einem Ankommen.

Es ist offensichtlich: Seit unserem letzten Besuch haben sich viele Strukturen in Pozzallo verändert. Verschiedene Mechanismen bedingen diesen Wandel: So versucht die italienische Regierung beispielsweise, die Verteilung der Flüchtlinge auf ganz Italien zu beschleunigen. Pozzallo wird dabei zum Durchgangsort.

Auch Enzo, ein Sizilianer, den wir schon im vergangenen Jahr getroffen haben, spürt das. Er besitzt eine kleine Bottega (eine Art Weinkeller), die die die gambischen Jungs im letzten Jahr oft besucht haben. Dort hörten sie Musik und lernten Einheimischen kennen.

Seit der Schließung der Unterkunft versuchen in der Umgebung untergebrachte Flüchtlinge kaum noch Kontakte zu knüpfen. Sie alle wollen die Insel schnellstmöglich Richtung Norden verlassen. Ornella, Enzo und die Anwohner*innen bedauern dies sehr.

Anne

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