Die Erstaufnahmeeinrichtung im Hafen von Pozzallo ist vor einigen Wochen in einen sogenannten Hotspot umfunktioniert worden. Das Konzept dazu ist völlig neu: Pozzallo einer der ersten Orte, wo es umgesetzt wird. Was genau verbirgt sich dahinter? Und was bedeutet das für die Geflüchteten, die im Hafen ankommen? Welche Abläufe finden in diesem Bereich statt? Konkret fragen wir uns also, wie europäische Asylmaßnahmen in der Praxis umgesetzt werden.

Der Hafen von Pozzallo, rechts die Erstaufnahmeeinrichtung: In diesem Bereich entscheidet sich, ob ankommende Geflüchtete einen Asylantrag in der EU stellen dürfen oder nicht.
“Ein Hotspot – Konzept zur Steuerung außergewöhnlicher Migrationsströme”: Unter diesem Titel beschreibt die Europäische Kommission ihr neues Konzept zum Umgang mit Migration und Flucht an den europäischen Außengrenzen. Momentan sind Hotspots in Süditalien und Griechenland eingerichtet. In ihnen soll ein Schnellprüfverfahren klären, ob Geflüchteten überhaupt das Recht auf eine Asylantragstellung zugebilligt wird oder nicht.
“Menschen, die ganz klar Anspruch auf internationalen Schutz haben, können von den betroffenen Mitgliedsstaaten an andere EU Mitgliedsstaaten umverteilt werden, wo ihr Asylantrag bearbeitet wird”, schlägt die Europäische Kommission vor. Für alle anderen ist eine sogenannte Rückführung ins Herkunftsland vorgesehen. Diese Maßnahme wird operativ von Frontex begleitet. Eine genaue Definition dieser sogenannten Rückführung besteht aktuell nicht.
Das Hotspot-Konzept gewährleistet den Regierungen operative Unterstützung. Das heißt, dass die Staaten bei der Registrierung und Klärung von Identitäten durch große EU-Agenturen unterstützt werden: Zu besagtem Schnellprüfverfahren gehört die Identifikation der Flüchtigen. Ihre Fingerabdrücke werden registriert. Außerdem werden erste Ermittlungen gegen mögliche sogenannte Schlepper eingeleitet.
Hotspot Pozzallo
Wie auch schon bei unseren letzten Besuchen ist das Erstaufnahmelager im Hafen von Pozzallo stark bewacht. Zugang wurde und wird uns nicht gewährt. Momentan sind neben den Angestellten des Hotspots nur Mitglieder der Organisation Ärzte ohne Grenzen befugt, das Camp zu betreten. Diese unterliegen nicht mehr nur einer ärztlichen, sondern einer allgemeinen Schweigepflicht über die Zustände.
Interne Vorgänge und Abläufe versuchen wir darum mit Hilfe von Berichten von Aktivist_innen von Borderline Sicily, von Journalist_innen und Anwohner_innen zu rekonstruieren. Aus unseren Recherchen geht hervor, dass das Schnellprüfverfahren im Wesentlichen aus zwei einfachen Fragen zu bestehen scheint:
- “Aus welchem Land bist du eingereist?”
- “Willst du hier arbeiten?”
Die Beantwortung dieser Fragen hat gravierende Folgen: Gilt das genannte Herkunftsland als sicher, kann kein Antrag auf Asyl mehr gestellt werden. Doch auch die Einreise aus einem “unsicheren” Herkunftsland scheint noch keine Garantie für ein ordentliches Asylverfahren.
Bekundet der Flüchtling seinen Arbeitswillen und lässt so bei den zuständigen Behörden die vermeintliche Schlussfolgerung zu als “Wirtschaftsflüchtling” kategorisiert zu werden, kann auch ihm der Weg in ein offizielles Asylverfahren verwehrt werden.
Nicht vor und nicht zurück
Eine Unterstützung dieser Menschen wird durch die Abschottung des Bereichs, in dem das Verfahren stattfindet, unmöglich. Ihnen rechtlich beizustehen bleibt damit ausgeschlossen. Ein einmal in dieser Form abgelehnter Eintritt in das Asylverfahren ist nachträglich rechtlich nahezu unanfechtbar.
Welche Möglichkeiten bleiben den geflüchteten Menschen dann jedoch? Unseren Informationen zufolge müssen Menschen, die bereits an dieser Stelle abgelehnt werden, eine auf italienisch verfasste Erklärung unterschreiben, Italien innerhalb von sieben Tagen zu verlassen.
Bisher können wir nur erahnen, welche Konsequenzen dies für die Geflüchteten haben wird. Durch die nun konsequent durchgeführte Registrierung wird eine Asylantragstellung in jedem anderen EU-Land unmöglich gemacht. Auch eine Rückkehr in ihr Herkunftsland ist für viele Menschen nicht zu realisieren. Stattdessen sitzen sie buchstäblich und ohne alle Ansprüche illegalisiert auf der Straße.
Einem Bericht von Ärzten ohne Grenzen zufolge sind in diesem Zusammenhang seit Ende September mehr als 100 Fälle fehlender medizinischer Versorgung dokumentiert. Darunter waren auch schwangere Frauen und Minderjährige. Menschen werden regelmäßig widerrechtlich aus dem Hotspot entlassen.
In den kommenden Tagen möchten wir, neben unseren zuvor geplanten Aktivitäten, die Menschen unterstützen, die durch die Ausgänge der Hotspot-Schnellprüfverfahren auf der Straße landen und denen somit in Konsequenz auf jegliche Bewegungsfreiheit genommen wird. Außerdem wollen wir weitere Informationen sammeln, um die Vorgänge vor Ort zu begreifen und zu dokumentieren.
Ein Text von Tobi, Hanne und Anna
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Sabine Fischer says
2. März 2016 at 18:45Hallo!
Da ich einen jungen Geflüchteten aus Gambia betreue und dadurch Kontakt zu anderen Schwarzafrikanern habe kann ich nur durch deren Berichte bestätigen, was ihr schreibt.
Sie sind alle von Abschiebung nach Italien bedroht und auch durch die dort bereits erlittene Obdachlosigkeit und der damit einhergehenden Verelendung nachhaltig verängstigt. Sie waren völlig ohne Unterstützung, mussten betteln und haben mitunter sogar schimmeliges Brot gegessen… . Sie wurden oft von einheimischen Italienern beschimpft und manchmal sogar bespuckt. Einige von Ihnen sehen nur noch den Ausweg Suizid im Falle einer Abschiebung. Ich frage mich schon länger, warum diese menschliche Katastrophe in unseren Medien und in unserer Öffentlichkeit überhaupt so gut wie keine Erwähnung findet…
Ich bin ja wild entschlossen, mich im Falle der Abschiebung sofort auf den Weg nach Italien zu machen , spreche auch einigermaßen gut italienisch, aber sehe auch dadurch nicht wirklich Möglichkeit zur Hilfe…
Somit bin ich also zumindest mal erfreut, dass sich jemand mit den unsäglichen Zuständen auseinandersetzt und sie benennt…
Herzliche Grüße, viel Kraft und hoffentlich ein wenig Weiterkommen,
Sabine Fischer
…für weitere Informationen wäre ich sehr dankbar!
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