Gerade kämen weniger neu angekommene Geflüchtete im Centro Astalli an, berichtet Riccardo bei unserer Videokonferenz mit ihm. Er ist der neue Leiter des Centros, einer Anlaufstelle für Geflüchtete in Catania, mit der wir schon seit vielen Jahren zusammenarbeiten. Statt um Neuankömmlinge kümmern sich die Mitarbeiter:innen im Moment hauptsächlich um diejenigen, die schon seit längerer Zeit in Sizilien sind. In der Corona-Krise verschärft sich ihre Lebenssituation zusehends. Und davon gibt es nicht wenige. Menschen, die internationalen Schutz beantragen, werden oft sofort in andere europäische Länder weitergeschickt.
Auch wenn Catania gerade in der sogenannten „gelben Zone“ liegt, in der die Einschränkungen für Menschen in Italien entspannt sind, kann das Centro zwar weiter seine Pforten öffnen, aber nicht alle Dienstleistungen anbieten. Während normalerweise auch medizinische Konsultationen angeboten werden, ist dies derzeit stark heruntergefahren. Die Geflüchteten werden nur weitervermittelt. Das Hauptaugenmerk wird gerade auf Rechtsberatung zu Asylverfahren und Arbeitsorientierung und -recht gelegt.
Da viele Geflüchtete im Lockdown ihre Jobs verloren haben, weil sie z.B. in Restaurants als Kellner:innen oder Tellerwäscher:innen gearbeitet haben, unterstützt das Centro sie dabei, Qualifikationen zu erwerben, die ihnen neue Arbeitsbereiche eröffnen. Außerdem müssen Aufenthaltsgenehmigungen verlängert werden, auch Asylverfahren laufen weiter.
Fehlende Aufklärung und „internationaler Schutz“
Für neu angekommene Geflüchtete beschreibt Riccardo ein Problem, das auch in den letzten Jahren immer wieder Sorgen bereitet hat: Die Undurchsichtigkeit der Abläufe im Asylverfahren für Geflüchtete und die unzureichende Information darüber durch die Behörden. Kommen Geflüchtete an, wird ihnen immer noch ein Papier vorgelegt, auf dem sie gefragt werden, ob sie arbeiten wollen oder internationalen Schutz beantragen. Da sie oft nicht informiert werden, was „internationaler Schutz“ und ihre Entscheidung in diesem Augenblick bedeuten, aber natürlich irgendwann arbeiten möchten, unterschreiben sie in vielen Fällen etwas, das sie zu sogenannten „Wirtschaftsflüchtlingen“ macht. Nach anderen Fluchtgründen werden sie dann gar nicht mehr gefragt und das Verfahren ist für sie beendet. Das Centro versucht deswegen, Aufklärungsarbeit zu leisten, damit den Geflüchteten nicht zum Verhängnis wird, dass sie in einer suboptimalen Situation, in der ihnen, ermattet von der Reise, ein italienisches Dokument vorgelegt und höchstens ein:e Übersetzer:in zur Verfügung gestellt wird, das Falsche unterschreiben.
Kommen die Betroffenen aus Ländern, zu denen Italien enge diplomatische Beziehungen hat, werden sie umgehend zurückgeschickt. Zweimal in der Woche gingen beispielsweise Flüge nach Tunesien, erzählt Riccardo. Überhaupt kämen die meisten Menschen aktuell aus nordafrikanischen Ländern über das Mittelmeer. Gibt es keine engen diplomatischen Beziehungen, Riccardo nennt beispielsweise Nigeria und Gambia, erhalten die Abgewiesenen einen Zettel, der besagt, dass sie Italien verlassen müssen, und werden auf die Straße gesetzt. Selbst wenn sie wollten, könnten sie aber nicht weg, da sie weder die nötigen finanziellen Mittel,das notwendige Netzwerk noch einen gültigen Pass haben, der ihnen die Reise ermöglichen würde. Sie werden damit zu einem Teil der großen Gruppe an illegalisierten Menschen, die sich ohne jegliche Unterstützung durchschlagen müssen. Sie sind oft diejenigen, die ins Centro kommen.
Ein weiteres Problem: Geflüchtete in Gefängnissen
Als weiteres großes Problem nennt Riccardo die Situation von Geflüchteten in Gefängnissen, die beispielsweise in Haft sitzen, weil sie als vermeintliche Schlepper verurteilt wurden. In Italien ist es im Allgemeinen üblich, dass die Insassen sich selbst mit Kleidung, Handtüchern und Hygieneartikeln versorgen müssen. Sie sind also auf Besuch von außen angewiesen und die Familie sorgt für frische Wäsche. In Zeiten von Corona, in denen jeglicher Besuch verboten ist, bricht dieses System zusammen und alle Gefangenen sind auf einen gemeinnützigen Kleiderservice angewiesen, von dem normalerweise die Geflüchteten profitieren – denn naturgemäß haben sie eben keine Familie in Italien, die sie versorgen könnte. Mit der gestiegenen Nachfrage ist die Versorgungssituation für sie noch einmal schwieriger geworden. Elvira, die ehemalige Leiterin des Centros, die auch weiterhin im Centro tätig ist, beschreibt die Situation im Gefängnis prägnant: „Für Geflüchtete ist das die Hölle.“
Daran, dass sich mit der neuen italienischen Regierung viel zum Positiven verändert, hat Riccardo Zweifel. Über die Möglichkeit einer Impfung beispielsweise auch für Geflüchtete weiß er nichts. Im Centro selbst geht die Arbeit also weiter: Die Mitarbeiter:innen verteilen Lebensmittelgutscheine an Geflüchtete, die nicht arbeiten können und auf Grund ihres Status‘ keinerlei Unterstützung erhalten. Sie beraten, um die Lebenssituation von Geflüchteten zu verbessern und stellen beispielsweise ein Gesundheitsbuch zur Verfügung, in das alle Behandlungen und Diagnosen eingetragen werden und das die Geflüchteten mitnehmen können, wenn sie weiterziehen. Denn da für sie natürlich keine Krankenakten vorliegen, ist auch eine adäquate, langfristige medizinische Versorgung nicht gewährleistet.
Gemeinsam mit dem Centro planen wir, wie wir unterstützen können. In den nächsten Wochen werden wir uns um Gutscheine für einen lokalen Supermarkt, die Finanzierung von Gabelstaplerführerscheinen und Kleiderspenden für Geflüchtete im Gefängnis kümmern. Unterstützt uns dabei!
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