Nach vier Tagen intensiver Arbeit ist es an der Zeit für ein kleines Zwischenfazit. Was haben wir gemacht? Wen haben wir getroffen? Wie soll es in den nächsten Tagen weitergehen? Deswegen haben wir heute einen Schreib- und Recherchetag eingelegt, um unsere Eindrücke zu sortieren. Hier also unser Wochenrückblick:
Montag
Zu Wochenbeginn haben wir uns mit Enos getroffen. Mit ihm zusammen fuhren wir im vergangenen Jahr in das inoffizielle Lager, das Geflüchtete unter einer Brücke errichtet hatten. Er hat uns von der veränderten Situation in Sizilien berichtet. Dass man sich mehr darum bemühe, Flüchtlinge nach ihrer Ankunft sofort weiterzuverteilen. Das Lager, das wir im letzten Jahr besuchten, sei von der Polizei vor einiger Zeit geräumt worden. Er selbst kümmere sich nicht mehr mit Sachspenden um obdachlose Flüchtlinge, da er das Gefühl habe, dass dies nicht mehr das Notwendigste sei.
Da wir Enos in der Nähe von Catania trafen, machten wir uns anschließend auf den Weg in die Stadt. Nur wenige Tage zuvor war in der italienischen Presse bekannt geworden, dass Frontex dort eine neue operative Basis eröffnen würde. Also spürten wir diese auf – und fanden ein recht unspektakuläres Gebäude vor. Anschließend sackten wir noch Sophie am Flughafen ein.
Dienstag
Für den Dienstag nahmen wir uns vor, die Region südlich von Modica – dem Ort an dem wir eine kleine Wohnung bezogen haben – zu erkunden. Im Hafen von Pozzallo fanden wir die gleiche Situation vor wie im vergangenen Jahr: gestrandete Boote, wartende Carabinieri, badende Touristen. In Müllsäcken lagerten noch die Wärmedecken der 990 Menschen, die am letzten Wochenende hier angekommen waren.
Anschließend haben wir einen alten Bekannten besucht: Enzo (Aufmacherbild). Er ist der Chef der Bottega solidale in Pozzallo. Diese war lange ein Anlaufpunkt für Gelüchtete, weil er ihnen einen Platz bot sich zu treffen, ihre eigene Musik zu hören und zu tanzen. Auch er habe in den letzten Monaten Veränderungen wahrgenommen: In Pozzallo seien Geflüchtete nur noch sehr kurz und in Erstaufnahmelagern untergebracht. Das Problem: niemand kommt rein, niemand kommt raus.
Abends dann waren wir mit Lucia verabredet. Sie arbeitet für Borderline Sicilia Onlus, die sizilianische Variante von Borderline Europe. Sie beobachtet die Situation vor Ort, kennt viele Menschen und Institutionen. Lucia hat uns mit einem umfassenden Überblick und für die nächsten Tage mit vielen weiteren Terminen versorgt.
Mittwoch
Im Vorfeld hatten uns viele Leute ein Projekt in Scicli, eine kleine Stadt im Südosten der Insel, empfohlen, von dem sie meinten, dass es dort gut laufen würde: die Flüchtlingsunterkunft der Organisation Mediterranean Hope. Wir haben dort den Mitarbeiter Piero und die Leiterin des Zentrums getroffen und uns ein wenig umgeschaut. Beide waren angetan von unserer Idee, Veranstaltungen mit Geflüchteten zu organisieren.
Zusammen mit Lucia, die uns begleitete, fuhren wir im Anschluss an den südlichsten Zipfel Siziliens – nach Pachino. Wir haben dort eine weitere Flüchtlingsunterkunft besucht und mit den Menschen gesprochen, die darin leben. Auch mit der Leitung sind wir zusammegekommen. Wir haben die Schule besucht, die zu dem Camp gehört und haben mit der Lehrerin, Anna, ein Treffen für die nächste Woche ausgemacht.
Zu einem Absacker waren wir abends dann mit Giorgio und Alessandra verabredet. Auch diese beiden hatten wir im letzten Jahr bereits kennengelernt. Giorgio erzählte etwas von der Verstrickung vieler Lager in korrupte Netzwerke. Alessandra berichtete von ihrer Arbeit in einem Erstaufnahmelager für Geflüchtete: von Nähkursen und teuren Gebühren für Papiere, die die Geflüchteten von ihrem Taschengeld aufbringen müssen.
Donnerstag
Bis hierhin waren wir zu viert unterwegs gewesen, am Donnerstag haben wir uns von Anne verabschiedet. Auf dem Rückweg vom Flughafen zurück sind wir über Augusta gefahren, einem der sizilianischen Hauptankunftshäfen von Flüchtlingen.
In Ragusa besuchten wir das Open House, das eine Tagesanlaufstelle für Flüchtlinge ist. Wir unterhielten uns über die Spenden, die die BetreiberInnen von Zalando und Deichmann erhalten und die wöchentliche Arbeit mit Geflüchteten in jedem Stadium ihres Kampfes um eine Aufenthaltserlaubnis.
Wir trafen dort auch Fahid und Fahruk, die aus Afghanistan und Pakistan nach Italien gekommen sind. Sie erzählten von ihrem Leben mit und ohne Aufenthaltserlaubnis, von der Schwierigkeit, den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen und ihren Wünschen für die Zukunft.
Freitag
Gestern starteten wir mit einem Skype-Interview mit dem Akrützel, einer Jenaer Hochschulzeitung, um gleich danach den Artikel über unsere Arbeit in der TLZ zu lesen.
Und nun ordnen wir unser Büchlein voller neuer Kontakte, verabreden uns mit neuen Menschen, organisieren unseren weiteren Aufenthalt und füttern unseren Terminplaner. Wir haben bisher viele Infos gesammelt, tatsächliche Spenden haben wir noch nicht ausgegeben.
Am Montag und Dienstag haben wir aber Verabredungen mit Projekten und Menschen, bei denen wir uns gut vorstellen können, dass wir sie mit Sachgütern unterstützen.
Wir wollen genau schauen, wo was gebraucht wird. Dazu bedenken wir mit, welche Institutionen eventuell schon Geldgeber, wie beispielsweise die Kirche, hinter sich haben und welche nicht. Wir wollen erst einen Überblick und glauben, dass wir uns dazu bisher ein gutes Netzwerk aufgebaut haben.
Weiter geht´s!
In den nächsten Tagen wollen wir unsere Kontakte weiter nutzen. Wir werden wahrscheinlich noch einmal nach Catania fahren und von dort nach Mineo, wo das größte Flüchtlingslager Europas ist. Wir wollen dort weitere Aktivisten treffen, die sich um diejenigen obdachlosen Flüchtenden kümmern, die in der Hoffnung auf eine Fahrt nach Norden ihr Lager am Hauptbahnhof aufgeschlagen haben. Termine mit weiteren Anlaufstellen haben wir bereits gemacht.
Liebe Grüße
Anna
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Jendrik says
6. Juni 2015 at 12:06Liebe Seehelfer,
vielen Dank für den Zwischenbericht. Ihr macht euch viele Gedanken, seht euch auch alles an und knüpft Kontakte. Noch dazu habe ich so einen transparenteren Einblick in eure Arbeit. Weiter so!
Nennt auch ruhig weiter die Namen eurer Kontakte. So ist es lebendig geschildert.
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