Etwa 50 bis 60 Menschen kamen bis Ende Juli allein jeden Nachmittag ins
Centro Astalli Catania
. Die Anlaufstelle hatte sich mit unserer und eurer Unterstützung völlig auf Corona eingestellt: Jede*r musste einzeln eintreten, es wurde Fieber gemessen und alle bekamen einen Mund-Nasen-Schutz. Nach Monaten der Schließung konnten medizinische Betreuung und Rechtsberatung endlich wieder stattfinden. Abgesehen von der Bedrohung einer Ansteckung mit dem Coronavirus hat das Centro nun allerdings mit noch einem anderen Problem zu kämpfen: dem „Krieg der Armen untereinander“, wie es Elvira, die Leiterin des Centros, ausdrückt.
Bereits Anfang Juli war das Centro von der Schließung bedroht. Nachbar*innen hatten es bei der Polizei angezeigt, weil es angeblich Lärmbelästigungen durch die vor dem Zentrum in der Schlange wartenden Menschen gegeben habe. Elvira glaubt nicht, dass es der Lärm war, durch den sich Anwohner*innen belästigt fühlten. Schlangen gebe es überall, weil die Anzahl der Menschen in Innenräumen eben überall beschränkt werde. Glücklicherweise konnte das Zentrum die mit der Anzeige verbundene Schadenersatzklage erfolgreich abwehren. Der tatsächliche Grund für die Feindseligkeit der Anwohner*innen ist damit Elvira zufolge aber nicht aus der Welt: Rassismus.
Armenkrieg
Viele Menschen in Sizilien seien selbst arm und hätten in der Coronakrise noch mehr verloren. Wurden Migrant*innen vorher leidlich geduldet als Menschen, die noch ärmer als man selbst waren, erscheinen sie nun vielen Menschen als Bedrohung. Vor der Krise übernahmen Migrant*innen Arbeiten, die Sizilianer*innen nicht übernehmen wollten: Altenpflege, Feldarbeit, Dienstleistungstätigkeiten. In die existentielle Bedrohung geraten, sind diese Arbeitsfelder auch für Sizilianer*innen nun wieder denkbar. Das Problem ist nur, dass die Arbeitgeber*innen dieser Tätigkeiten kein Interesse mehr daran haben, teurere Sizilianer*innen einzustellen. Die Anstellung von illegalisierten Migrant*innen hat die Preise so weit gedrückt, dass Sizilianer*innen als Arbeitskräfte einfach nicht mehr lukrativ erscheinen. Migrant*innen geben sich außerdem mangels Arbeitsvertrags auch mit schlechten Arbeitsbedingungen zufrieden. Das Bild vieler Sizilianer*innen von Migrant*innen verschlechtert sich weiter. Arme Menschen konkurrieren miteinander, ohne dass irgendjemand gewinnen könnte.
Eine zunehmende Verfolgung von Migrant*innen scheint auch von offizieller Seite her gegeben. Am 9. Juli gab es eine Razzia im besonders von Migrant*innen bewohnten Stadtbezirk, in dem sich auch das Zentrum befindet. Von Seiten der Polizei hieß es, dass die Aktion mit 150 Polizist*innen und Hubschraubern der Bekämpfung von Kriminalität diente. Fakt ist jedoch laut Elvira auch, dass gerade Migrant*innen in die Kleinkriminalität gedrängt werden. Sie erledigen die „dreckigen“ Aufgaben, für die man ins Gefängnis kommt: Sie verkaufen Drogen oder ihren Körper, um über die Runden zu kommen. Besonders oft kommen diese Menschen aus Gambia oder Nigeria. Die Organisation dahinter, die dann auch das meiste Geld daran verdient, ist allerdings sizilianisch und sitzt in anderen Stadtbezirken. In diese traue sich die Polizei laut Elvira dann aber eben nicht.
Nur Rechtssicherheit ist die Lösung
Migrant*innen bräuchten Rechte, sagt Elvira. Jahrelang habe man ihnen geholfen und sie unterstützt. Jetzt müssten die Menschen begreifen, dass es damit nicht genug ist und sie stattdessen Rechtssicherheit bräuchten, Aufenthaltstitel, eine Arbeitserlaubnis.
Viele Wochen über half das Centro dabei, in Rechtsberatungen zum neuen Dekret zu informieren, nach dem Migrant*innen Aufenthaltstitel bekommen können, wenn sie z.B. in der Landwirtschaft arbeiten. Leider war dies beinahe den gesamten August über nicht mehr möglich, weil das Centro geschlossen werden musste. Nachdem Ende Juli Migrant*innen in Caltanisetta und Porto Empedocle aus der Quarantäne geflohen waren, befürchtete man, dass eine*r von ihnen im Zentrum auftauchen würde. Abgesehen von der Gefahr einer Ansteckung mit dem Coronavirus ist es für das Zentrum auch eine Gefahr, zu sehr ins Auge der Öffentlichkeit zu geraten. Anders als zunächst geplant öffnet das Centro Astalli schon – heute – am 1. September wieder. Hoffentlich diesmal für länger.
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