Blog

Dramatische Entwicklung: Polizei räumt Camp in Cassibile und zerstört alles Hab und Gut

Von Cassibile haben wir euch schon mehrfach berichtet. Am Rande der Stadt bauen die Saisonkräfte, die auf den Feldern arbeiten, jedes Jahr ein provisorisches Camp auf.

Es wird seit Jahren versprochen, dass feste Unterkünfte für diese Menschen entstehen sollen, die auf den angrenzenden Feldern als Tagelöhner:innen tätig sind. Die Realität bisher: Die Geflüchteten, die auf den Feldern um Siracusa als billige Erntehelfer:innen ausgebeutet werden, leben in Zeltstädten, selbst gebauten Hütten oder suchen Unterschlupf in den angrenzenden verlassenen, baufälligen Häusern am Rande der Stadt. Es gibt kein Trinkwasser, Strom wird maximal über Generatoren produziert. Bei starken Regenfällen steht das Gelände regelmäßig unter Wasser. Wir haben in der Vergangenheit schon häufig Spenden an die Bewohner:innen übergeben und auch im vergangenen Jahr mit Zelten, Schlafsäcken und Schutzmasken ausgeholfen.

 

Vor einigen Wochen haben die italienischen Behörden (Guardia di Finanza und Polizia Municipale) eine Razzia durchgeführt, das Camp geräumt, die aktuellen Bewohner:innen vertrieben und alles Hab und Gut zerstört. Das Eigentum der Feldarbeiter:innen, die sich im illegalen Camp befunden haben, wurde dabei vernichtet, außerdem sollen die Polizeikräfte alle Lebensmittelvorräte konfisziert haben.

 

Die Behörden brachten als Begründung Sicherheitsbedenken wegen der schlechten Bausubstanz der zum Teil bewohnten Abrisshäuser vor. Die Stadt akzeptiere, laut Bürgermeister Francesco Italia, außerdem keine illegalen Wohnformen. Ziel sei die Unterbringung im sogenannten „Willkommensdorf“, zu dem nun die Bauarbeiten begonnen haben sollen. Wann es fertig sein soll, darüber gibt es keine Angaben. Was bis dahin mit den Menschen geschieht, scheint keine Rolle zu spielen. In Hochzeiten leben in der Zeltstadt am Ortsrand von Cassibile bis zu 500 Menschen. Weil die Saison noch am Anfang steht, waren aktuell nur etwa 25 bis 30 Menschen vor Ort.

 

Unwürdige Arbeitsbedingungen

 

Die sizilianische Landwirtschaft wird von den Schultern dieser Erntehelfer:innen getragen, die Jahr für Jahr die Ernte von Kartoffeln, Oliven, Orangen oder Tomaten bewältigen. Diese Menschen sehen sich gezwungen, diese körperlich harte Arbeit unter unwürdigen Bedingungen zu akzeptieren.

 

Doch statt ihnen neue Möglichkeiten zu eröffnen, reichen die geringen Löhne für die harte Arbeit fast nicht zum Überleben. Nur durch Spenden kommen die Menschen beispielsweise an Ausstattung zum Schlafen oder für sie unbezahlbare Medizin. Für sie gibt es keinen Gewerkschaftsschutz, niemand kümmert sich um ihre Gesundheit oder um die Einhaltung von Corona-Maßnahmen – sie sind ihren Vorarbeiter:innen ausgeliefert. Sobald die Helfer:innen nicht mehr gebraucht werden, vertreiben die Landlords sie von ihrem Land. Schon in der Vergangenheit wurde am Ende der Saison die Polizei eingeschaltet, um die Menschen zu vertreiben. Bei der aktuellen Razzia in Cassibile hat die Polizei die Menschen, deren Unterkünfte nun zerstört sind, wieder auf die Straße gesetzt. Sie sind nun in umliegende Städte ausgewichen, stehen aber in Kontakt mit Padre Carlo, sodass wir über ihn ersten Ersatz bereitstellen konnten. Wir haben in den vergangenen Wochen Hilfsgüter im Wert von mehreren tausend Euro zur Verfügung gestellt. Zunächst haben wir Kleidung, Schlafsäcke und Hygieneartikel nach Sizilien geschickt.

 

Jetzt ist die nächste Eskalationsstufe erreicht

 

In der Kirche von Padre Carlo sind Stand heute mehr als 80 Menschen untergekommen. Die Erntesaison kommt nicht in Gang, sodass die Feldarbeiter:innen, die als Wanderarbeiter:innen unterwegs sind, in der Luft hängen. Das Haus neben der Kirche ist eigentlich die Wohnstätte des Paters. In seiner kleinen Wohnung und den Wirtschaftsräumen nimmt der Padre regelmäßig Menschen auf. Manche leben schon seit Jahren bei ihm. Aktuell haben fast 30 Menschen in seiner privaten Unterkunft Zuflucht gefunden. Er hat nur einen einzelnen Raum für sich behalten.

 

Weil das Camp geräumt wurde und die Feldarbeiter:innen keine andere Möglichkeit mehr gesehen haben, sind aktuell zusätzlich mehr als 50 Menschen in der Kirche selbst untergekommen. Unter Pandemie-Gesichtspunkten ein schwer zu ertragender Zustand. Jetzt, wo der Ramadan begonnen hat, ist auch die Versorgung mit Lebensmitteln zum Problem geworden. Jeden Tag verbrauchen die Bewohner:innen ungefähr 20 bis 30 Kilo Reis. Für Brot und andere zusätzliche Lebensmittel reicht das Geld, das der Padre sonst von seinem Lohn abzwackt, nicht mehr aus. Wir haben darum entschieden, eine Tonne Reis zu kaufen. Der kostet uns weitere 1000 Euro. 500 Euro möchten wir für weitere Lebensmittel, wie passierte Tomaten, Gewürze und Co. bereitstellen. Auch lokale Organisationen helfen. Doch das reicht nur für den Moment. Es werden weitere Kosten fällig, denn auch der Strom- und Wasserverbrauch ist enorm gestiegen. Und auch diese Rechnungen fallen der kleinen Gemeinschaft zur Last.

 

Weil wir im Augenblick viel Geld für diese ganz grundsätzlichen Dinge benötigen, sind wir auf eure Unterstützung angewiesen. Der Druck wird in absehbarer Zeit nicht nachlassen. Außerdem können die Geflüchteten durch die Pandemie kaum selbst etwas verdienen, sodass die Abhängigkeit von Zuwendungen noch einmal enorm zugenommen hat. Wir bitten euch darum, uns finanziell zu unterstützen und damit den Geflüchteten auf Sizilien zu helfen. So dramatisch wie jetzt haben wir die Situation selten wahrgenommen.

Post a comment

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.