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“Es ist Wahnsinn, was in Italien passiert.”

Seit vier Jahren fahren wir vom Projekt Seehilfe e.V. nach Sizilien, um dort obdachlosen Geflüchteten zu helfen. In unserer  Interviewreihe erzählen wir von unseren persönlichen Erfahrungen. Heute gibt uns Vereinsmitglied Sophie, die sich als Anwältin auf Asylrecht spezialisiert hat, eine Einschätzung der Situation in Sizilien.

Sophie ist Fachanwältin für Asylrecht und setzt sich bei uns ehrenamtlich für Geflüchtete in Sizilien ein.

Was war der beeindruckendste Moment für dich in den letzten Jahren als Mitglied der Seehilfe?

Sophie: Meine Sizilienfahrt war negativ beeindruckend. Es ist einerseits wunderschön dort und andererseits sieht man, wie schlecht es Menschen gehen kann. Sie leben unter Autobahnbrücken, ohne jegliche staatliche oder menschliche Unterstützung. Das fand ich sehr erschütternd. Menschen suchen in Europa Zuflucht und landen in einer Sackgasse. Im Zweifelsfall enden sie als illegale Feldarbeiter und kommen aus diesem Dilemma nicht mehr raus.

Wo siehst du als Anwältin, die sich auf Asylrecht spezialisiert hat, den größten Handlungsbedarf in der aktuellen Migrationspolitik der EU?

Ein Problem ist die Dreiteilung der Verantwortung zwischen der EU, Deutschland (oder anderen europäischen Mitgliedsstaaten) und Italien. Für das Grundgerüst der Asylverfahren ist die EU zuständig. Deren Richtlinien, darunter insbesondere die Dublin-III-Verordnungen, sind Voraussetzung für die Mitgliedsländer. Bei diesen – wie der Verteilung der Zuständigkeit nach dem Land, in dem Geflüchtete zum ersten Mal EU-Boden betreten haben – ist aber extrem viel schief gelaufen, sie sind nicht praktikabel. In meinem Beruf sehe ich, wie viele Menschen nach Italien oder Rumänien abgeschoben werden, weil sie dort zuerst die EU betraten. Diese Länder sind einfach überfordert, weil sie sich um zu viele Geflüchtete kümmern müssen. Liebe EU, das funktioniert so einfach nicht. Dieses Konstrukt der Umverteilung von Geflüchteten, die in Europa ankommen, ist ein völliges Desaster. Es muss umstrukturiert werden.

Wie schätzt du die Lage in Italien ein?

Angeblich und laut vieler deutscher Gerichte gibt es keine “systemischen Mängel” in dem dortigen Asylverfahren. Aber wenn man weiß, wie es da abläuft, greift man sich an den Kopf. Es ist Wahnsinn, was in Italien passiert. Die Strukturen sind komplett überlastet. Auch über das Hotspotsystem muss ich wohl nicht viel mehr sagen, als dass es menschenunwürdig ist . Ich habe Mandanten, die erzählen, dass sie dort mal einen Fingerabdruck gelassen haben und ein Arzt sie gefragt hat, ob es ihnen gut geht. Das war es. Untersuchungen gab es keine. Stattdessen wurden sie nach zwei Tagen einfach auf die Straße gesetzt. Ohne irgendeine Art von Unterstützung. Die haben noch nicht mal eine Erklärung, wie das Asylsystem funktioniert in ihrer Sprache bekommen. Sie mussten einfach irgendwas auf Italienisch unterschreiben und wissen nicht wo der Weg hingeht.

Sophie koordiniert die Vereinsarbeit und hält unser Team zusammen.

Das klingt alles ziemlich hoffnungslos. Gibt es irgendwelche Verbesserungen oder zumindest Grund zum Optimismus?

Die Lage ist seit drei Jahren grenzwertig und es passiert einfach nichts. Weder von Seiten der EU, noch von staatlicher Ebene. Die rechtliche und politische Situation hat sich eher verschlimmert als verbessert. Es gibt keine gescheite Abschiebung, keine anständige Unterbringung, die Hotspots haben nichts gebracht. Dabei wurden letztere theoretisch eingeführt, um das System effektiver und menschengerechter zu gestalten. In Sachen Menschenrechte gibt es keine Fortschritte, sondern eher Rückschritte. Zudem werden Mitglieder von Hilfsorganisationen von Nationalsozialisten bedroht. Nur die ehrenamtliche Hilfe funktioniert immer besser.

Wie beurteilst du die asylrechtliche Lage in Deutschland?

Die Dublin-III-Abschiebungen nehmen wahnsinnig schnell zu und werden aggressiver durchgeführt. Früher hat das BAMF noch manchmal „vergessen“abzuschieben, aber das passiert nicht mehr oft. Dafür nehmen Verfahrensmängel erheblich zu und die Verwaltungsgerichte sind völlig überlastet, weil die Bescheide der Bundesämter in vielen Fällen angreifbar – weil einfach ‘copy und paste’ – sind. Es wird einfach pauschal entschieden und nicht auf die Einzelschicksale der Menschen eingegangen . Es ist richtig fragwürdig, was da passiert.

Hat dich die Arbeit für die Seehilfe verändert?

Man ernüchtert ein bisschen. Ich arbeite ja auch hauptberuflich im Asylrecht und es ist schon beeindruckend, wie unterschiedlich die Meinungen im Bereich Asyl oder der Unterstützung für andere Menschen sind. Wir leben in einem Land, das sich schimpft Nächstenliebe und Demokratie zu praktizieren, und dann so wenig tut. Andererseits gibt es aber auch viele Vereinigungen, die unterstützen. Viele unserer Kooperationspartner in Italien sind seit Jahren total ausgebrannt, aber machen trotzdem weiter. Das sehe ich auch bei uns in der Seehilfe. Selbst wenn es mal ungünstig läuft, kriegt man den Hintern immer wieder hoch für die, für die man das tut. Es geht um Menschenleben. Aufgeben geht da halt nicht.

Das Interview führte Hannah.

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